Budapester Abkommen von 1994 garantiert Ukraine territoriale Unversehrtheit – und die Schweiz?

Die Schweiz befindet sich in der globalisierten Welt und kann sich nicht hinter negativen Geschehnissen unter dem Motto Neutralität verstecken. Das gilt auch für die russische Invasion in der Ukraine. Die Schweiz sollte sich mehr mit den Opfern des Angriffskrieges identifizieren. Und die Weltöffentlichkeit dauernd daran erinnern, dass die Ukraine mit dem Verzicht auf Atomwaffen 1994 die völkerrechtliche Garantie ihrer definitiven territorialen Integrität inklusive der Krim durch das Budapester Abkommen erworben hatte.


Paul Ignaz Vogel

 

Die Erwartung waren gross, als Wolodymyr Selenskyj, Präsident der von der Russischen Föderation (RF) angegriffenen Ukraine, Mitte Mai 2023 an der G7-Tagung in Hiroshima (Japan) auftrat. Die Welt hoffte auf ein öffentliches Statement der Staats- und Regierungschefs von den demokratischen Industrieländern zugunsten der atomaren Abrüstung. Und einen Hinweis auf die völkerrechtlichen Schulden der Signatarstaaten von 1994, die territorialen Garantieleistungen an die Ukraine, Weissrussland und Kasachstan tatsächlich zu erbringen. Wegen eklatantem Vertragsbruch anzuklagen ist die Russische Föderation (RF) mit der beiden militärischen Invasionen von 2014 und 2022 in der Ukraine, deren Territorium sie noch 1994 völkerrechtlich garantiert hatte.

Nach Ende des Kalten Kriegs hatten nämlich 1994 die USA, Grossbritannien und die Russische Föderation (RF) ein völkerrechtlich bindendes Memorandum in Budapest unterzeichnet, das heute systematisch totgeschwiegen wird. Warum ist dies der Fall? https://www.atomwaffena-z.info/glossar/begriff/budapester-memorandum

 

Neues in der Menschheitsgeschichte

 

Ein Blick zurück ins vorige Jahrhundert wird nötig zum besseren Verständnis der aktuellen Vorgänge in Hiroshima: Japan war im Zweiten Weltkriegs (1939-1945) eine Achsenmacht und mit dem Dritten Reich verbündet. Nach dem Überfall Japans auf die US-Flotte in Pearl Harbour Ende 1941 traten die USA in den Krieg ein und begannen umgehend damit, eine neue Waffe zu entwickeln. Diese wurde zum epochalen Quantensprung in der militärischen Rüstung. Im Rahmen des streng geheimen Manhatten-Projektes entstanden die Atombomben. Eine erste wurde am 6. August 1945 über Hiroshima, eine zweite am 9. August über Nagasaki abgeworfen. Die Zivilbevölkerungen wurden in einem Umkreis von mehreren Kilometer vernichtet - oder zumindest dauernd geschädigt. Nachdem die USA den Fortbestand des für die Japaner:innen göttlichen Kaisertums garantiert hatten, kapitulierte die noch kampfwillige kaiserliche Armee gegenüber den USA als Hauptverbündetem der Westallierten in der Anti-Hitler-Allianz. Damit kamen die USA strategisch der UdSSR zuvor, die sich ebenfalls angesetzt hatte, mit der Roten Armee in Japan einzumarschieren. Denn Stalin hatte früh damit begonnen. dank strategischer Spionage seine eigene A-Rüstung zu entwickeln. 

 

Demokratische Weltöffentlichkeit enttäuscht

 

Der Einsatz von Atomwaffen und atomaren Abrüstung sind deshalb bis heute Gegenstand weltpolitischer Auseinandersetzungen unter den Mächtigen. Marcel Zwygart von Pro Mundo und vom Forum Ost-West weist auf die Ausführrungen des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton zum Budapester Memorandum hin, bei welchem die Ukraine seine Atomwaffen abgab (damals drittgrösste Nuklearmacht der Welt) und als Gegenleistung Garantien zur territorialen Integrität durch GB, USA und RF erhielten. Frankreich und China gliederten sich in diese Allianz zur atomaren Abrüstung ein. Das Ziel des Budapester Memorandums, das durch Bill Clinton & Co angestrebt wurde, bleibt auch heute relevant: Denuklearisierung der Welt. Zwygart stellt die berechtigte Frage: «Aber werden die westlichen Vertragspartner Ihren Rollen als Garantiestaaten gerecht (nicht nur moralisch)?»

 

In einem am 4. April 2023 publizierten Interview des öffentlich-rechtlichen Senders Irlands sagte Ex-USA-Präsident Clinton: "Ich fühle mich persönlich verpflichtet, weil ich die Ukraine dazu gebracht habe, sich bereit zu erklären, ihre Atomwaffen aufzugeben. Und keiner von ihnen glaubt, dass Russland diesen Stunt durchgezogen hätte, wenn die Ukraine noch ihre Waffen gehabt hätte". https://www.rte.ie/news/primetime/2023/0404/1374162-clinton-ukraine/

 

Der G7 Staaten hinterlassen nach ihrem kürzlichen Auftritt in Hiroshima zwei vollkommen andersartige Möglichkeiten für die Erklärung ihres betretenen Schweigens zum Völkerrechtsbruch der Russischen Föderation (RF) in Sachen RF-Invasion in die Ukraine:

1 Vordergründig zur Schau gestellte Scham, Verlegenheit und Trauer gegenüber den Opfern und ihrer Nachfahr:innen in der japanischen Zivilbevölkerung und/oder dann

2 stille und verdeckte indirekte Drohung an die Russische Föderation (RF) und an China: Wir wären da und bald wieder so weit; wir besitzen Atomwaffen und könnten sie wieder einsetzen. Eine zynische, aber nicht realitätsferne Haltung.

 

Die Echolosigkeit und das Ausbleiben entsprechender Narrative in den Medien zur Korrelation Budapester Memorandum 1994, nuklearer Abrüstung und nicht erbrachte Vertragsgarantien runden das Bild von moralischer Inkompetenz des sogenannt freien Westens ab. http://www.g8.utoronto.ca/

 

Offizielles Denken aus der Schweiz vor UNO-Beitritt

 

Während sich die Schweiz als Garantiestaat der Genfer Konvention wenig um deren Einhaltung kümmert und die Russische Föderation (RF) Kriegsverbrechen begehen lässt, wäre ein permanenter Hinweis auf den Bruch des Budapester Abkommens von 1994 dringend notwendig.

 

Es ist das Thema von verdeckter Feigheit, aber auch profitabler Beziehungslosigkeit in einem seit zwei Jahrhunderten von Kriegen verschonten Privilegierten-Status. Nur nehmen, nur vom Unglück der Anderen profitieren, nie geben. Und den globalen Moralapostel spielen. Unter dem Motto: Immerwährende Neutralität. Ihre politische Taktik ist das Vertrödeln, das Stillesitzen und das Abwarten, bis die Dinge sich selbst erledigen. Aussitzen sagt man dem. Ist solcher Egoismus eines an sich friedlichen Kleinstaates würdig?

Die Mission der Neutralität als immerwährende Staatsdoktrin der Schweiz wurde vom Basler Historiker Professor Edgar Bonjour in seinem Werk nach 1945 «neuzeitlich» definiert. Es galt und gilt offenbar immer noch bis heute auch für die schweizerischen Diplomat:innen, deren Grundausbildung auf Bonjours Standardwerk beruhte und zu beruhen scheint. Ein beachtliches verstaubtes Buch, ein atavistisches Gedankengebilde aus der «guten alten Zeit».

 

Bonjour nahm die Haager Landskriegsordnung von 1907 als Mass aller Dinge. Es war jene «gute alte Zeit» der traditionellen Landkriege als Fortsetzung des ritterlichen Zweikampfes – zwischen zwei kämpfenden Heeren, mit Sieg und Niederlagen, und Friedensverträgen zwischen zwei Heeren, die gehalten oder aufgekündigt (Kriegserklärung) wurden. Die Zivilbevölkerungen blieben so weit wie möglich geschont. https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/26/499_376_481/de



Im ersten Weltkrieg entwickelte sich gegen Ende der Luftkrieg, aber auch der industrielle Krieg mit den Panzern. Auch litt die Zivilbevölkerung direkt und vermehrt unter Kollateralschäden. Auch kam es zum Einsatz von Chemiewaffen (Giftgas).


2
Der Zweite Weltkrieg beschied den Zivilbevölkerungen Tod und Verderben als Teil einer Kriegstaktik des Feindes. Das war der totale Krieg, wie Goebbels ihn erstmals nannte. Endete mit dem Beginn des atomaren Zeitalters anno 1945. Mit Hiroshima und Nagasaki und der gewollten Vernichtung von Zivilbevölkerungen als Kriegsmethode.


3
Mit der Erfindung des Internets (eine militärische Leistung im Kalten Krieg) erschien gegen Ende des letzten Jahrtausends auch der digitale Krieg als Gespenst. Er zerstört in einem hybriden Krieg nicht nur die Körper in der Zivilbevölkerung, sondern durchsetzt Wahrnehmung, Wissen und Gewissen ganzer Gesellschaften mit systematischen Lügennarrativen und Manipulationen der Individuen und setzt den Begriff Wahrheit ausser Kraft. Alle zwischenmenschlichen Werte, Regungen, Glaube, Vertrauen, Hoffnung sollten eliminiert werden, die Wahrheit nicht mehr gelten, Schäden an unermesslichen geistigen und seelischen Ressourcen der Menschheit angepeilt werden.

 

In der heutigen Völkerrechtssituation drohen gleichzeitig alle drei Varianten der Vernichtung. Sich in der Abwehr solcher Gefahren nur auf eine technologische Kriegsführung wie anno 1907 gedanklich vorzubereiten und für das berechtigte Souveränitätsstreben eines Kleinstaates lediglich das ideologische Narrativ der historischen Neutralität anzurufen, ist fatal und fundamental verantwortungslos. Die offizielle Schweiz mit ihren Behörden tut dies gegenwärtig – und es droht, dass sie dabeibleibt. Beharrlich im Irrtum, beständig in der verdeckten Mitschuld, eine schweizerische Eigenart.

 

Doch internationale und völkerrechtliche Pflicht der Schweiz von heute wäre es,

 

A die Bestrebungen des Atomsperrvertrages und der dazu gehörenden Organisation OSZE weiter zu entwickeln. Und nimmermüde national und international auch auf das Budapester Abkommen von 1994 hinzuweisen. Somit auf das fatale Unrecht, das die Russische Föderation (RF) mit ihrer verbrecherischen Invasion in die Ukraine begeht. Verbrecherisch, denn die eine Vertragspartei der Gebenden, die Ukraine, Weissrussland und Kasachstan haben freiwillig ihre atomaren Kriegsarsenale aufgelöst. Die Vertragsnehmenden setzten sich aber bis zum 22. Februar 2022 nicht und nimmer für den Einhalt der Vereinbarung ein, und die heisst: Territoriale Integrität der Geberstaaten, unter anderen und vorerst der Ukraine. https://www.osce.org/de

 

B Ohne Unterlass auf den Bruch der Genfer Konvention durch die Russische Föderation (RF) hinzuweisen und den Haager Internationalen Strafgerichthof in der Anklage gegen die Kriegsverbrecher aktiv und zielführend (Verhaftung der Beschuldigten als Ziel) zu unterstützen. https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/humanitaeres-voelkerrecht/genfer-konvention.htmlhttps://www.bj.admin.ch/bj/de/home/sicherheit/rechtshilfe/strafsachen/strafgerichtshof.html

 

C Schliesslich hatte sich der schweizerische Souverän 2002 ein neues Instrumentarium zur Selbstbehauptung und Wahrung der eigenen völkerrechtlichen Souveränität angeeignet und ist Mitglied der Vereinten Nationen (UNO) geworden. Die offizielle Schweiz geht mit diesen neuen Möglichkeiten oft unbeachtet von der Öffentlichkeit um. Das Medienecho war gering, schnödend bis minimal, als anfangs Mai 2023 Bundesrat Cassis, Vorsteher des EDA im UNO-Sicherheitsrat von der Russischen Föderation (RF) den Rückzug aus der besetzten Ukraine forderte. Viele Schweizer Medien suhlen sich gerne in alten und überholten Narrativen und sehen neue Wirklichkeiten kaum. Gedanken-Faulheit, Opportunismus und mentale Korruption sind schlechte Gesell:innen. Es mangelt an internationalem Geist, und das Anbiedern an nationalistische politische Strömungen hierzulande ist gross. Oft medial flächendeckend, denn wer ahmt nicht gerne die Anderen, die Konkurrenz nach? Das kommt billiger und ist weniger riskant, Dominoeffekt. Wo bleibt die einstige Weltoffenheit der Schweiz?
https://frieden-sichern.dgvn.de/meldung/keineswegs-untaetig-die-vereinten-nationen-und-der-ukraine-krieg

 

Und bewegt sie sich doch?

 

Kurz nach Beginn der zweiten Invasionsphase in der Ukraine publizierte das Eidgenössische Departement für Auswärtiges (EDA) eine hastig zusammen gestellte Broschüre. Das Publikationsdatum war der 03.03.2022. Ein Rechtfertigungsversuch unter dem Titel «Die Neutralität der Schweiz».

 

Zitat: «Vor diesem Hintergrund hält der Bundesrat nach dem Ende des Kalten Krieges die Anpassung der Neutralitätspolitik an die neuen Verhältnisse für notwendig, wie er in seinem Bericht zur Neutralität vom 29. November 1993 schreibt. Dieses Dokument ist bis heute massgebend für die Schweizer Neutralität. Es hat den Grundstein gelegt für das Verständnis, dass Sicherheit seit dem Ende des Kalten Krieges am besten durch Kooperation zu erreichen ist und dass eine solche Kooperation in einer mit der Neutralität vereinbaren Weise erfolgen kann.»

 

Der erwähnte Bericht zur Neutralität vom 29. November 1993 endet mit folgendem Fazit:

 

« In einer Zeit vielfältigen Wandels muss die schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik angesichts der hoffnungsvollen Zukunftsmöglichkeiten einerseits und der weiterhin bestehenden Risiken anderseits eine Haltung von Offenheit und von Bewahrung, von Kontinuität und von Veränderung kombinieren; Offenheit im Sinne einer Teilnahme an Massnahmen gegen die neuen Bedrohungsformen und am Aufbau tragfähiger Sicherheitsstrukturen; Bewahrung im Sinne des Verzichts auf eine überstürzte Aufgabe bewährter Sicherheitskonzepte. Eine solche Strategie der Solidarität und Partizipation bei gleichzeitiger Fortführung von in der dauernden Neutralität verankerten eigenverantwortlichen Verteidigungsanstrengungen entspricht den legitimen Sicherheitsbedürfnissen eines Kleinstaates. Sie widerspiegelt unseren Willen zur Selbstbestimmung, welcher gepaart ist mit der Einsicht in die Eingebundenheit in die gesamteuropäische Schicksalsgemeinschaft.» https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/1994/1_153__/de

 

Genau diesen Begriff der europäischen Schicksalsgemeinschaft, einen Werte-Bund, erwähnt em. Professor Thomas Cottier, wenn er schreibt:

 

«Der offene Landkrieg in der Ukraine führt uns endgültig vor Augen, dass die Neutralitätspolitik der Schweiz und das Neutralitätsrecht im 21. Jahrhundert mit den grundlegenden Zielen der Verfassung und unserem Staatsverständnis nicht mehr vereinbar sind. Die Uneinigkeit der alten Eidgenossenschaft wie auch die Pufferfunktion in Europa sind Geschichte, ebenso machtpolitische Auseinandersetzungen europäischer Monarchien. Die Neutralität im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg leistete keinen Beitrag zur Wahrung der Demokratie. Heute ist die Welt erneut geprägt von klassischen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und der Herrschaft von Diktatoren und Tyrannen.» https://suisse-en-europe.ch/thomas-cottier-abschied-neutralitaet/

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PIV © 23.05./ 06.06. 2023
www.paul-ignaz-vogel.ch

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US-Sanktionsexperte im Interview

«Neutralität hilft nur noch Moskau»

Oliver Zihlmann

31.05.2023

 

«Die Sanktionskampagne betrifft diesmal auch die Schweiz zentral»: Juan Zarate, Ex-Sanktionsbeauftragter der USA, sagt, warum man von der Schweiz einen Sondereffort erwartet wie nach den Terrorangriffen auf die USA 2001.

Er gehört zu den wichtigsten Experten, wenn es um die Umsetzung der Russlandsanktionen geht. Jetzt äussert sich der frühere Topbeamte der USA Juan Zarate erstmals zu den Erwartungen an die Schweiz. (Zum Thema: Deswegen kam die Schweizer Sanktionspolitik ins Visier der G-7)

Was bedeuten die Russlandsanktionen für die Schweiz?

 

Der Angriff der Russen war ein 9/11-Moment. Wie nach den Terroranschlägen 2001 standen auch im Februar 2022 der Westen und viele Finanz- und Bankzentren weltweit zusammen. Denn hier brach ein heisser Krieg mitten in Europa aus, der die existierende Sicherheitsarchitektur bedroht und uns alle betrifft. So entstand eine Sanktionskampagne wie seit 2001 nicht mehr. Und die betrifft diesmal auch die Schweiz zentral.

 

Inwiefern?

 

Russland ist eine G-20-Wirtschaftsmacht. Riesige Mengen seines Kapitals und ein riesiges Vermögen der Oligarchen liegen in westlichen Staaten, und das betrifft vor allem gewisse Finanzplätze. London und Zypern gehören dazu, aber eben vor allem auch die Schweiz. Diese Länder müssen verstehen, dass es sich im Fall Russland zwar effektiv um normale Sanktionen handelt wie zum Beispiel gegen Nordkorea. Politisch und strategisch sind sie aber viel relevanter.

 

Die G-7 erwartet einen Sondereffort von der Schweiz wie nach 9/11

 

Genau. Wie 2001 hat sich die G-7 auch 2022 mit allen Bankenzentren ausgetauscht und deutlich vermittelt, dass man von ihnen jetzt proaktive Massnahmen und Kommunikation will. Es wird klar erwartet, dass jedes Land aktiv die Netzwerke der Russen bei sich aufdeckt und diese Informationen unaufgefordert mit den anderen teilt. Einfach nur zu reagieren, also auf Sanktionen anderer Staaten zu warten und diese rein technisch umzusetzen, ist zu passiv. Wird ein für die Russen wichtiger Finanzplatz wie die Schweiz hier als Bremser wahrgenommen, kann das sehr schnell zum Problem werden.

 

Die Schweiz wurde von der G-7 kritisiert, dass sie bremst

 

Die Schweiz muss ja Russland nicht so militant beurteilen, wie andere westliche Staaten das tun. Doch auch sie muss das Finanzsystem schützen. Es lässt sich nicht wegdiskutieren, welche Risiken Russland inzwischen in das globale Finanzsystem hineinträgt. Korruption, Kleptokratie, politisch exponierte Personen, Finanzkriminalität, Geldwäscherei, Menschenrechtsverletzungen, Sanktionsumgehung und seit neuestem noch Unterstützung eines Angriffskrieges und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Kein Finanzplatz kann solche Risiken auf Dauer tolerieren, selbst wenn er den Russen gewogen ist. Es ist also im ureigenen Interesse der Schweiz, die Russennetzwerke, die in Verbindung mit all diesen Risiken stehen, aktiv aufzudecken.

 

Aber kann man Sanktionen erlassen nur aufgrund eines Risikos?

 

Natürlich, es muss rechtlich korrekt ablaufen. Die Fakten müssen stimmen. Die Schweiz oder jedes andere Land kann nach einer Prüfung zum Schluss kommen, dass diese Villa oder jene Firma nicht blockiert werden muss. Das wird niemand kritisieren. Aber entscheidend ist, dass man alle diese Vermögen aktiv sucht und prüft. Steckt ein Familienmitglied dahinter? Wurde etwas ins Ausland geschafft? Es muss ein spürbares Bestreben geben, dies aufzuklären. Denn all diese Vermögen stecken seit letztem Jahr unter einem Generalverdacht.

 

Nämlich?

 

Genau wie bei 9/11 machte die westliche Gemeinschaft auch im Fall Russland eine Neudefinition davon, wie man russisches Vermögen, Kapital und russischen Einfluss betrachtet: Die Vermögensnetzwerke der Russen sind jetzt von sich aus suspekt. Sollte sich nach Ermittlungen herausstellen, dass alles in Ordnung ist, dann ist das gut. Aber man muss sie zwingend prüfen. Dieser Übergang zu einem generellen Korruptionsverdacht ist ein entscheidender globaler Wandel.

 

Die Schweiz ist aber, anders als die G-7, ein neutraler Staat

 

Die Russen haben unser Finanzsystem missbraucht, auch das der Schweiz. Das ist inzwischen allen klar. Russland repräsentiert also ein fundamentales Risiko auch für den Schweizer Finanzplatz. Deshalb müssen wir uns alle gemeinsam aktiv wehren. Politische Neutralität hilft nur noch Moskau. Selbst als neutraler Staat kann man das Risiko durch Russland nicht mehr einfach ignorieren.

 

Die USA gehen nun vermehrt gegen Vermögensverwalter in der Schweiz und anderen Ländern vor, die den Russen halfen.

Diese Helfer sind in einer Schlüsselposition. Dank ihnen ist die globale Geldwäsche überhaupt möglich. Sie haben die Netzwerke für die Oligarchen gebaut. Sie haben die entscheidenden Informationen und Fähigkeiten. Die russische Elite ist auf sie angewiesen. Nur wenn wir es schaffen, ihre Aktivitäten ans Licht zu bringen und andere von solchen Aktivitäten abzuschrecken, werden wir es schaffen, die Probleme mit den russischen Vermögen in unserem Finanzsystem zu lösen. Deswegen sind die Sanktionen gegen diese Helfer in der Schweiz und anderswo so wichtig.

 

Was ist, wenn die Schweiz hier bremst?

 

Ich habe persönlich erlebt, wie die Schweiz ihre Weissgeldstrategie umsetzte. Wie sie mit uns zusammen arbeitete bei der Rückführung von gestohlenen Geldern und bei der Bekämpfung der Terrorfinanzierung. Das war wirklich eindrücklich und wichtig für die ganze Welt. Doch wenn sie jetzt nicht aktiv mithilft, gegen die Russennetzwerke vorzugehen, dann wird sich der Eindruck wieder verstärken, dass sie ein sicherer Hafen für illegale Gelder und für Umgehungsgeschäfte sein will. Dass sie vom russischen Geld profitieren will, um damit ihr Finanzsystem zu unterhalten. Jetzt, wo die Russlandgeschäfte in den Fokus geraten sind, ist das schon aus einer Risikoperspektive untragbar.

Quelle:

https://www.bernerzeitung.ch/neutralitaet-hilft-nur-noch-moskau-279917406291

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Atomare Rüstungskontrolle:
Russland will Angebot der USA annehmen

 

Verhandlungen über Atomwaffenkontrollen zwischen Moskau und Washington liegen auf Eis. Ein neues Gesprächsangebot aus den USA bewertet der Kreml positiv.

 

dpa | 05.06.2023 / Yuri Kochetkov / dpa

 

Russland hat sich offen für einen neuen Dialog mit den USA über atomare Rüstungskontrolle gezeigt. Der Kreml lobte ein Angebot des nationalen Sicherheitsberaters von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, zu Gesprächen ohne Vorbedingungen als „wichtige und positive Erklärung“. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte in Moskau: „Wir rechnen damit, dass sie mit Schritten über diplomatische Kanäle gestärkt wird. Danach kann man schon die vorgeschlagenen Dialogvarianten prüfen.“

 

Im Februar hatte Russland den sogenannten New Start Vertrag zur Verringerung des Atomwaffenarsenals ausgesetzt. Zu einer möglichen Wiederaufnahme von Verhandlungen über Atomwaffenkontrollen sagte Peskow: „Russland bleibt offen für den Dialog. Wir halten ihn für außerordentlich wichtig. Aber wir müssen zuerst verstehen, wie dieser Vorschlag formuliert wird.“ Russland und die USA verfügen mit großem Abstand über die meisten Atomwaffen weltweit.

 

Quelle:

https://www.berliner-zeitung.de/news/russland-kreml-sprecher-dmitri-peskow-zu-gespraechen-ueber-atomare-ruestungskontrolle-bereit-li.355838

 

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US-Helsinki-Kommission fordert Sanktionen
gegen Ex-Bundesanwalt Michael Lauber


29. Juli 2023

 

Die US-amerikanische Helsinki-Kommission hat im Zusammenhang mit einer russischen Steueraffäre die Sanktionierung dreier Schweizer gefordert. Darunter sind Ex-Bundesanwalt Michael Lauber und Ex-Bundesstaatsanwalt Patrick Lamon.

 

Beim dritten Schweizer handelt es sich um einen Russlandexperten der Bundespolizei Fedpol. Die Helsinki-Kommission stellte die Sanktionsforderungen an die US-Regierung auf Bestreben des Investors Bill Browder, der das entsprechende Schreiben auf Twitter veröffentlichte. Die drei Schweizer sollen demnach unter dem sogenannten Magnitski-Artikel sanktioniert werden.

 

Die Helsinki-Kommission wirft ihnen in ihrem Schreiben vor, sanktionierten Russen zu helfen an in der Schweiz eingefrorene Gelder zu kommen. Zudem sollen sie Geschenke und Reisen von russischen Beamten und Oligarchen erhalten haben.

 

(Keystone-SDA)

 

Quelle:

 

https://www.swissinfo.ch/ger/sanktionierung-gegen-ex-bundesanwalt-michael-lauber-gefordert/48698134

 

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US-Aktivist Bill Browder prangert die Schweiz an

Aus 10 vor 10 vom 28.07.2023.

Helsinki-Kommission

US-Forderung nach Sanktionen: Bundesanwaltschaft reagiert

29.07.2023, 06:58 Uhr, Aktualisiert um 17:20 Uhr

 

Die Helsinki-Kommission in den USA fordert im Zusammenhang mit einer russischen Steueraffäre die Sanktionierung von drei Schweizern. Darunter sind Ex-Bundesanwalt Michael Lauber und Ex-Bundesstaatsanwalt Patrick Lamon. Beim dritten Schweizer handelt es sich um einen Russlandexperten der Bundespolizei Fedpol. Lauber und die Bundesanwaltschaft (BA) weisen die Vorwürfe entschieden zurück.

 

Die Helsinki-Kommission stellte die Sanktionsforderungen an die US-Regierung auf Bestreben des Investors Bill Browder, der das entsprechende Schreiben am Freitag auf Twitter veröffentlichte. Die drei Schweizer sollen demnach unter dem sogenannten Magnitski-Artikel sanktioniert werden.

 

Die Helsinki-Kommission wirft ihnen in ihrem auf Freitag datieren Schreiben vor, in ihrer damaligen Funktion sanktionierten Russen geholfen zu haben, an in der Schweiz eingefrorene Gelder zu kommen. Zudem sollen sie Geschenke und Reisen von russischen Beamten und Oligarchen erhalten haben.

 

Lauber: «Unwahre Behauptungen»

 

Die BA weist die «haltlosen Vorwürfe», die gegen einzelne Mitarbeitende aufgrund deren Tätigkeit für den Schweizer Rechtsstaat erhoben worden seien, «mit aller Deutlichkeit» zurück, wie sie auf Anfrage von Keystone-SDA ausführte.

Das zur Diskussion stehende Verfahren werde korrekt geführt, so die BA. Die Behörde verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Bundesstrafgericht als zuständige Rechtsmittelinstanz, welche in mehreren Entscheiden die Verfahrenshandlungen der BA gestützt habe.

 

Auch der ehemalige Bundesanwalt Lauber weist die «unwahren und ehrenrührigen Behauptungen» in aller Form zurück, wie er in einer Stellungnahme schreibt. Er vertraue darauf, «dass die US-Regierung unvoreingenommen entscheiden und den Antrag auf Sanktionierung gestützt auf die allein massgeblichen Fakten ablehnen wird.»

 

Bundesanwaltschaft stellte Verfahren ein

 

Hintergrund der Sanktionsforderung ist die sogenannte Magnitski-Affäre in Russland. Sergei Magnitski, der mittlerweile verstorbene Anwalt der von Bill Browder mitgegründeten Hermitage Capital Management Ltd. in Russland, hatte einen riesigen Betrugsskandal aufgedeckt, in welchem dem russischen Staat rund 230 Millionen Dollar entzogen wurden. Ein Teil der Gelder landete zumindest vorübergehend auf Schweizer Konten.

 

Im Rahmen der Aufarbeitung der Affäre eröffnete die BA ein Verfahren wegen Geldwäscherei gegen unbekannt und blockierte rund 18 Millionen Franken der fragwürdigen Gelder. 2021 stellte die BA das Verfahren aber ein – und ordnete zum Unmut Browders und Hermitage den Einzug von nur vier der blockierten 18 Millionen Franken an.

 

Beschwerde noch hängig

 

Derzeit ist allerdings noch eine Beschwerde vor Bundesgericht hängig. Dabei geht es um die Frage, ob die Firma Heritage als Privatkläger zugelassen ist. Die BA hatte Heritage 2021 die anfänglich zugesprochene Stellung als Privatkläger wieder abgesprochen.

 

Die umfangreichen Ermittlungen hätten nicht nachweisen können, dass die Gelder, die Gegenstand des schweizerischen Verfahrens bilden, von einer Straftat herrühren, die zum Schaden von Hermitage begangen wurde, teilte die BA damals mit.

 

Quelle:

https://www.srf.ch/news/schweiz/helsinki-kommission-us-forderung-nach-sanktionen-bundesanwaltschaft-reagiert#:~:text=Die%20Helsinki%2DKommission%20ist%20eine,Europa%20(OSZE)%20f%C3%B6rdern%20soll.