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Rechtsstaat Ade: Palästina II

Am 21. Februar 1970 fiel bei Würenlingen im Aargau eine Swissair-Maschine vom Himmel und begrub unter ihren Trümmern 47 Menschen. Sie waren Opfer eines palästinensischen Attentates. Die Fäden zur Täterschaft führten über Westdeutschland in den Nahen Osten. Eine Reihe solcher juden- und israelfeindlicher Attentate wurden bis heute weder verfolgt noch gesühnt. Wo bleibt unsere Rechtsstaatlichkeit?

Von Paul Ignaz Vogel

Blicken wir zurück in die Zeitspanne der Jahre 1969 und 1970. Vier Mitglieder einer palästinensischen Kommandogruppe hatten am 18. Februar 1969 in Kloten ein israelisches Flugzeug attackiert. Der israelische Kopilot wurde schwer verletzt und starb später im Spital. In Gegenwehr erschoss der israelische Sicherheitsbeamte Mordechai Rachamim einen palästinensischen Attentäter.
 

Die Attentäter stammten aus dem Kreis der linksgerichteten PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas). Das Bezirksgericht von Winterthur verurteilte diese am 22. Dezember 1969 zu zwölf Jahren Zuchthaus. Der israelische Sicherheitsmann Rachamim wurde freigesprochen. So schworen die palästinensischen TerroristInnen, unterstützt von einigen arabischen Staaten, Rache. Eine schwerwiegende Eskalation bahnte sich im Nahost-Konflikt an, in die auch die Schweiz hineingezogen wurde. Im Untergrund gingen die Vorbereitungen für weitere Missetaten von statten.
 

Beim Studium von Akten des Schweizerischen Bundesarchivs, in die ich mit einer Sonderbewilligung Einsicht nehmen konnte, stiess ich auf folgenden bemerkenswerten Vorfall: Nach dem Attentat von Zürich-Kloten fiel der Swissair-Hostess Mirjam Kuhn (Pseudonym) am 7. Februar 1970 ein seltsames Verhalten zweier Fluggäste in der Touristenklasse auf. Sie hatte Dienst im Flug SR 643 von Mailand nach Genf. Die beiden fremdsprachigen Unbekannten hantierten an einem Gerät. Es war ein Höhenmesser, den sie kontrollierten. Wiederholt erkundigten sie sich bei ihr nach der aktuellen Flughöhe. Auf ihr Drängen begab sich Kuhn in die Pilotenkanzel, um die tatsächliche Flughöhe zu erfragen. Sie gab diese den Fragenden in der Messeinheit Fuss bekannt. «Doch die beiden Männer verstanden dies nicht, und ich musste meine Angabe in Meter umrechnen», sagte Kuhn später gemäss polizeilichen Untersuchungsakten aus dem Schweizerischen Bundesarchiv: «Offensichtlich stimmte meine Angabe über die Flughöhe nicht mit ihren Feststellungen am Höhenmesser, welcher nur den Kabinendruck anzeigte, überein.» Sie teilte darauf ihre Beobachtungen über die beiden unbekannten Männer ihren beiden Dienstkolleginnen mit.
 

Attentäter arabischer Herkunft
 

Nur drei Tage nach dieser seltsamen Beobachtung der Swissair-Hostess Kuhn kam es am 10. Februar 1970 auf dem Flughafen München-Riem zu einem Attentat und einem missglückten Versuch einer Flugzeug-Entführung. «Die Bombe detonierte um 12.53 Uhr auf dem Flughafen München-Riem, wo 33 Minuten zuvor eine Boeing 707 (Flugnummer LY 435) der israelischen Fluggesellschaft El Al gelandet war», schrieb das westdeutsche Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL am 16. Februar 1970. «Zwei weiteren Detonationen folgte das Geknatter von Handfeuerwaffen. Um 12.59 Uhr verließ der erste Notarztwagen das Klinikum rechts der Isar, um elf Verletzte zu bergen. Arie Katzenstein, 32, war bereits verblutet.»
 

Ein ägyptischer Ingenieur und zwei jordanische Studenten waren gemäss dem SPIEGEL-Bericht zuvor von Paris-Orly nach München-Riem geflogen. Im Transitraum des Flughafens hatten sie mit einer Handgranate und einer Faustfeuerwaffe den El Al - Piloten in einen Nahkampf verwickelt. Die Passagiere hätten aus dem Warteraum ins zwischengelandete Flugzeug der El Al getrieben und entführt werden sollen. Ein zerrissener Kommandozettel in deutscher Sprache wurde aufgefunden: «Guten Abend, meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen. Hier ist der stellvertretende Befehlshaber der 112. Einheit der Martyr Omar Sastadi Division der Aktionsgemeinschaft zur Befreiung Palästinas. Im Namen der palästinensischen Revolution nehmen wir dieses Flugzeug In unsere Befehlsgewalt und benennen es in «Palästina II» um.» Es sollte dank dem beherzten Nahkampf des El Al-Piloten nicht dazu kommen. Zum Überfall bekannte sich die linksextreme «Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PLFP).
 

Die Zeichen standen damals, anfangs der Siebzigerjahre im vorigen Jahrhundert in Westeuropa auf Sturm. Der Nahostkonflikt hatte euch Europa erreicht. Weitere Attentate auf Flugzeuge wurden von palästinensischen Terroristinnen geplant. Es herrschte zudem der Kalte Krieg, West- und Osteuropa standen sich feindlich gegenüber. Osteuropäische Warschaupakt-Staaten unterstützten die Palästinenser;innen teilweise offiziell, inoffiziell jedoch – durch ihre Geheimdienste – oft auch die europäischen Linksterrorist:innen. Die Rote Armee-Fraktion (RAF) und die Brigate Rosse (BR), die beide aus der 68er-Bewegung entstanden waren, verbreiteten Angst und Schrecken in der Bundesrepublik und in Italien und begingen zahlreiche Morde an Prominenten.
 

Doch allererstes Ziel von kollektiven Mordaktionen und verheerenden Attentatsplänen wurden israelische Einrichtungen und jüdische Personen. Es kam zum schrecklichen Anschlag auf eine Swissair-Maschine, die wegen einer eingeschmuggelten palästinensischen Bombe am 21. Februar 1970 bei Würenlingen abstürzte und 47 Menschen das Leben kostete.
 

Weitere Informationen zu diesem Attentat folgen später in diesem Text. Eine sinnbringende Analyse der damaligen Ereignisse fordert unsere Fähigkeiten heraus, auf verschiedenen Ebenen zu erkennen, zu denken, Lücken zu akzeptieren und keine Schlüsse zu ziehen, die sich nicht logisch beweisen lassen. Dazu gehört auch Folgendes:
 

In Akten der Frankfurter Untersuchungsbehörden, die im Schweizerischen Bundesarchiv eingelagert sind, finden sich Protokolle von Polizeiverhören mit den beiden verhafteten Arabern, die im Zusammenhang mit dem Würenlinger Flugzeugattentat standen. Diese Akten bilden weitere Mosaiksteine im Bild über die damalige terroristische Szene aus arabischen Ländern.
 

Die westdeutsche Polizei verhaftete nach dem Würenlinger Attentat am 26. Februar 1970 Abu-Toboul und Qasem Yaser in Frankfurt am Main. Im offiziellen Polizeianzeiger der Schweiz hiess es dazu: «Verhaftungsgrund: Verdacht der Mittäterschaft beim Sprengstoffanschlag auf ein Flugzeug der «Austrian Airline» am 21.2.70.» Und weiterhin lautete es in den Polizeiakten: «Es wird vermutet, dass die beiden auch mit dem Absturz der «Coronado» in Würenlingen / AG in Zusammenhang stehen könnten.» Die beiden Hauptverdächtigen hingegen, Sufian Kaddoumi und Musa Jawher hatten einen Tag vor den erwähnten Anschlägen die Bundesrepublik, das Land, wo die beiden Paketbomben der Luftpost übergeben worden waren, bereits verlassen und blieben seitdem für einen internationalen polizeilichen Zugriff unauffindbar.
 

Höhenmesser für Flugzeugattentate getestet
 

Es wird darin auch vom folgenden Vorfall berichtet, der nur wenige Tage vor dem Würenlinger Attentat stattfand: Gemäss den westdeutschen Untersuchungsergebnissen fuhr bereits am 16. Februar 1970 der jordanische Staatsangehörige Sufian Kaddoumi in seinem Ford M zum Grossen Feldberg im Taunus-Gebirge. Was trieb ihn zu diesem seltsamen Ausflug in der Umgebung von Frankfurt a. Main an?
 

Kaddoumi reiste nicht alleine, sondern im Quartett. Er wurde begleitet von Yaser Qasem, Jawher Musa und Issa Abu-Toboul. Aus dem Verhörprotokoll von Qasem: «Während der Fahrt öffnete Kaddoumi das Handschuhfach, dabei fiel eine «Uhr» auf den Boden des Wagens …  Unmittelbar danach nahm Kaddoumi diese Uhr in seine Hand, er drückte dabei auch auf einen Knopf, worauf sich ein Zeiger bewegte. Beim weiteren Hochfahren in den Taunus hörte ich plötzlich von Toboul und Jawher Zahlen nennen wie 100, 200 usw. bis ungefähr 600, wie ich mich erinnern kann. Ich drehte mich um und sah, dass auch Jawher und Toboul solche «Uhren» in den Händen hatten.»
 

Bei seiner polizeilichen Einvernahme sagte Abu-Toboul: «Da nach meiner Erinnerung Kaddoumi und Jawher am Montag, 16. Februar 1970 den Vorschlag gemacht haben, eine Fahrt in den Taunus zu unternehmen, vermute ich, dass sie die «Uhren» aus München mitgebracht haben. Nach ihren Erzählungen waren sie nämlich am Sonntag, den 15. Februar 1970, in München.»
 

Dem Verhör von Abu-Toboul war auch zu entnehmen, das Kaddoumi in München einen Bruder hatte, der bei der jordanischen Fluggesellschaft Alia arbeitete.
 

Paketpost nach Jerusalem
 

Auch begleitete Yaser Qasem am Vormittag des 20. Februar 1970 Musa Jawher auf das Postamt Dornbusch im Frankfurt a. Main. Qasem wollte ein Kleiderpaket an seine Familie nach Kuweit schicken, und er war Jawher bei der Aufgabe eines Paketes behilflich, da der Kollege kaum die deutsche Sprache beherrschte. Qasem füllte für ihn die Paketkarte und die Zollerklärung für das Gepäckstück aus. Die Anschrift war: Radio Mustafa Kashif Shop, King David Street, Jerusalem, Israel. Das Paket, das einen Radio zu enthalten schien, war angeblich für den Bruder von Jawher bestimmt, wie dieser immer sagte. Nämlich. Er müsse «ein Paket nach Hause schicken». Die Gebühr für die Luftpost-Sendung betrug 42.– oder 43.– DM, gemäss Protokollen der verhörenden Polizei aus Frankfurt a. Main.  

21. Februar 1970. Eine zweimotorige Caravelle der Austrian Airlines (AUA) auf dem Flug von Frankfurt a. Main nach Wien hatte Glück: Flugkapitän Herbert Thill schaffte es, die Maschine trotz der Explosion im Frachtraum um 10.50 Uhr in etwa 10.000 Fuß Flughöhe auf dem Rhein-Main-Flughafen notzulanden. Es gab keine Opfer. «Die Bombe befand sich im Laderaum des Flugzeuges in einem Postsack, der in Wien in einen Flug nach Israel umgeladen werden sollte», schilderte Jahrzehnte später Florian Markl vom Mediendienst MENA-Watch (31. Januar 2016) die Situation: «Der Sprengsatz war an ein Barometer angeschlossen und explodierte, als OS 402 eine Flughöhe von knapp 3000 Metern erreichte.»
 

Am gleichen Tag, aber nur weniger als drei Stunden später ereilte das entsetzliche Drama die Swissair mit ihrem Coronado-Flug SR 330 von Zürich-Kloten nach Tel-Aviv. Nach dem gleichen Muster wie in Frankfurt hatte die Maschine eine Bombe an Bord. Diese explodierte beim Flug über die Alpen. Das Flugzeug Basel-Landschaft versuchte vergeblich, nach Kloten zur Notlandung zurückzukehren. Rauch drang ins Cockpit ein, das elektrische System fiel aus. Das Flugzeug wurde unmanövrierbar und zerschellte im aargauischen Würenlingen am Boden, nur einige hundert Meter von den Atomanlagen entfernt. Alle 38 Flugpassagiere und 9 Besatzungsmitglieder mussten ihr Leben lassen.
 

Teilgeständnis
 

Den deutschen Verhörakten, welche im Schweizerischen Bundesarchiv eingelagert sind, kann aus der arabisch-terroristischen Szene in der Bundesrepublik Deutschland entnommen werden: Abu-Toboul traf im Frankfurter Heim der Arbeiterwohlfahrt am 23. Februar 1970 seinen Kollegen Qasem in der Küche. Dieser erklärte Abu-Toboul unvermittelt: «Die Besuche Kaddoumi und Jawher haben mir mein Leben gekostet.» Qasem sagte, er sei es gewesen, der das Paket auf dem Postamt abgegeben hatte, durch welches das Flugzeug «Schaden erlitten hat».
 

Für die Angeschuldigten Abu-Toboul und Qasem wurden Mitte des Jahres 1970 das Verfahren wegen Mittäterschaft eingestellt und die beiden straffrei des Landes verwiesen. Die beiden Hauptverdächtigen der AUA- und Swissair-Attentate des 21. Februar 1970, Sufian Kaddoumi und Musa Jawher hatten sich einen Tag vor der Tat, schon am 20. Februar nach Cairo, resp. nach Ammann abgesetzt. Sie wurden nie gefasst.
 

Zur direkten Täterschaft für das Attentat von Würenlingen hielt die Schweizerische Bundesanwaltschaft am 26. Juli 2018, S. 4/5 fest: «Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kommt als Bombenträger für die Coronadoexplosion nur ein von Kaddoumi am 20.2.1970 in München 2 nach Jerusalem aufgegebenes Flugpostpaket in Frage, das normalerweise von einer EL AL-Maschine transportiert worden wäre, aus nicht voraussehbaren Verumständungen heraus dann aber nach Kloten geflogen und dort in die Swissair-Coronado umgeladen wurde.»
 

Demzufolge fand das Attentats-Paket, das in Frankfurt a. Main der Flugpost mit der Destination Jerusalem übergeben worden war, via die AUA-Maschine nach Wien (und Tel Aviv) den Weg zur frühzeitigen Explosion in der Luft. Dieser Attentatsversuch verlief glücklicherweise glimpflich. 

 

Gleiche Täterschaft, gleiche Technik
 

Die Schweizerischen Bundesanwaltschaft hielt 2018 fest: «Es bestehen zwischen den beiden Anschlägen vom 21.2.1970 (AUA und Swissair Coronado) derart enge Zusammenhänge, dass sich die Annahme zwingend aufdrängt, sie könnten nur von den gleichen Tätern begangen worden sein. Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass auch die Sprengstoffexplosion im Coronado-Flugzeug durch einen als barometrischen Kontaktgeber hergerichteten Höhenmesser Altimeter 50 M ausgelöst wurde, wie dies bei der AUA-Explosion nachgewiesen werden kann.» (Nichtanhandnahme- und Nichtwiederaufnahmeverfügung Art. 310 und 323 vom 26. Juli 2018).
 

Die Gründe, warum die Bombe angesichts der Kabinendruckhöhe nicht bereits auf dem Flug München-Zürich explodierte, führt die Bundesanwaltschaft auf verschiedene technische und personelle Faktoren zurück. Womit die Korrelation zwischen Kabinendruck und effektiver Flughöhe gegeben wäre. Und die eingangs dieses Textes erwähnten Beobachtungen der Swissair-Hostess Mirjam Kuhn auf dem Flug Mailand-Genf zumindest Verdachtsmomente beinhalteten, die auf eine im Voraus auskundschaftende Täterschaft im Team hinwiesen. Unmittelbar nach dem Attentat von Würenlingen bekannte sich ein Generalkommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas PFLP zur Tat.
 

Nachträglich ist man bekanntlich immer klüger. In der polizeilichen Einvernahme am 1. April 1970 zu Beobachtungen im Zusammenhang mit dem Attentat von Würenlingen hatte Kuhn bedauert, dem ausserordentlichen Vorfall damals nicht mehr Beachtung geschenkt zu haben. Denn sie wollte im Alltagsstress bei der Abwicklung der Routinearbeiten nicht ins Hintertreffen geraten. Auch konnte sie sich nicht mehr erinnern, in welcher Fremdsprache sie sich mit den beiden seltsamen Fluggästen unterhalten hatte.
 

Auch dem untersuchenden Polizeibeamten unterliefen Fehler – Denkfehler. Gemäss Akten aus dem Schweizerischen Bundesarchiv notierte er: «Bekanntlich sind Kaddoumi und Jawher am 8.2.1970 vom Vorderen Orient nach München geflogen, während Abu-Toboul und Qasem in der kritischen Zeit in Frankfurt aufgehalten haben müssen.» An eine aktive und wirkungsvolle Komplizenschaft im Umfeld der palästinensischen TerroristInnen wurde dabei nicht gedacht. Die Sicherheitsbehörden standen damals vor einem vollkommen neuen Phänomen, und es fehlte ihnen auch an analytischen Erfahrungen und Fähigkeiten.
 

Das auffallende Verhalten der zwei unbekannten Passagiere des Swissair-Fluges 643 vom 7. Februar 1970 von Mailand nach Genf wurde nach dem Coronado-Attentat von Würenlingen nicht weiterverfolgt. Der diensttuende Zürcher Detektiv-Wachtmeister in der Einsatz-Leitstelle «Coronado-Absturz» legte den protokollierten und von zwei Kolleginnen Mirjams bestätigten Vorfall gemäss einer polizeilichen Aktennotiz ad acta. Zur Passagierliste des SR-Fluges 643 wurde seltsam argumentiert: «Die angeführten Familiennamen sind durchwegs italienischen, französischen und deutschen Ursprungs. Arabisch lautende Namen befinden sich nicht darunter.»
 

Straffreiheit für Mordtaten
 

Die deutsche Justiz ihrerseits liess es nie zu einer Anklage wegen Mordes für die vier in die Attentate AUA / Swissair involvierten Personen kommen. Auch die Attentäter von München (10. Februar 1970) wurden nie gerichtlich belangt. Die Schweiz ihrerseits brachte es fertig, sich ebenfalls 1970 durch die Entführung einer Swissair-Maschine nach Zerqa in die jordanische Wüste erpressen zu lassen. Die beiden nach dem Klotener Attentat 1969 rechtsstaatlich verurteilten Terroristen und die Terroristin wurden frei gelassen. Die Schweiz bestreitet amtlich und offiziell bis heute die Unverjährbarkeit des Würenlinger Attentats vom 21. Februar 1970.
 

Fazit:  

Am 21. Februar 1970 gingen zwei von Höhendruckmessern gesteuerte Bomben- Pakete hoch.
 

Beide Geräte wurden in der Bundesrepublik Deutschland an fiktive Adressen in Israel aufgegeben. Das eine in Frankfurt a.Main, das andere in München.
 

Die eine Fracht verpuffte im AUA-Flug von Frankfurt a. M. nach Wien (und Flugpost nach Tel Aviv), die andere führte zum Massenmord von Würenlingen. In der fraglichen Swissair-Maschine ab Zürich-Kloten handelte es sich um umgeladene deutsche Luftpost.
 

Die in Würenlingen von den schweizerischen Untersuchungsbehörden gesammelten Teilchen und Papierschnitzel mit Absendern aus Deutschland und AdressatInnen in Israel beweisen dies, wie es den Akten aus dem Schweizerischen Bundesarchiv zu entnehmen ist.
 

Die andere Diplomatie
 

Doch was geschah diplomatisch am 22. Februar 1970, dem Tag nach dem schrecklichen Attentat von Würenlingen und dem Attentatsversuch in der AUA-Maschine Frankfurt a.M. – Wien? Worum ging es damals weltpolitisch?
 

Der Zeittafel über Aussenbeziehungen der Botschaft des Staates Israel in Berlin entnehmen wir: «22. Februar 1970. Der israelische Außenminister Abba Eban trifft am Flughafen München ein. Sein Besuch ist der erste eines israelischen Regierungsmitglieds in der Bundesrepublik Deutschland.»
 

Die sozialliberale Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) suchte eine Annäherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel. Die Schweizerische Eidgenossenschaft dagegen führte eine konträre Politik, knüpfte Kontakte zu palästinensischen Terrorist:innen an und versuchte, diese mit Straffreiheit für ihre Morde zu besänftigen. Verantwortlich in diesen Aktionen war der schweizerische Bundesrat.
 

Diese Linie des Appeasements gegenüber Terrorist:innen wurde auch von der Schweizerischen Bundesanwaltschaft unterstützt, dem Geheimdienst, der damals direkt dem EJPD-Bundesrat unterstand. Sodann profilierte sich in solchen Aktionen auch Aussenminister Pierre Graber, ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, wie Marcel Gyr 2016 in seiner Studie «Schweizer Terrorjahre. Das geheime Abkommen mit der PLO» (NZZ Libro) nachwies.
 

Westeuropa blieb weiterhin im Visier von palästinensischen Attentätern. Die Situation eskalierte. Zwei Jahre nach dem Anschlag von Würenlingen fand 1972 in München die Olympiade statt. Am 5. September 1972 starben in einem Attentat elf israelische Spieler, fünf Geiselnehmer und ein Polizist kamen ebenfalls zu Tode. Es gab nie eine gerichtliche Abklärung der Tat, die auch von deutschen Neonazis unterstützt worden war, wie WIKIPEDIA zu berichten weiss. Nebst einer grossen Zahl von palästinensischen Terrorist:innen in israelischer Gefangenschaft hätten auch zwei deutsche Linksterrorist:nnen der RAF freigepresst werden sollen. 

 

Hinweise:
 

Akten zum Fall Würenlingen Swissair / AUA, deren Einsicht mir - lediglich für diese Publikation - vom Schweizerischen Bundesarchiv bewilligt wurde.
 

Schweizerische Bundesanwaltschaft: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/53196.pdf
 

Zitierte Medienquellen, z.T. aus dem Internet. 

 

© Paul Ignaz Vogel 

(PIV, 13.12. 2019 / 19.04. 2022 / 03.07.2024) 

 

Nachtrag
 

https://www.nzz.ch/schweiz/swissair-anschlag-in-wuerenlingen-die-rolle-der-geheimdienste-ld.1539622
 

Wie der amerikanische Insider im mehrstündigen Gespräch mit der NZZ erläuterte, habe der Mossad die palästinensische Terrorzelle um Sufian Kaddoumi in Frankfurt auf ihrem Radar gehabt. Einzelne Mitglieder der Zelle hätten während ihres Aufenthalts in Deutschland häufig mit ihren Familien zu Hause telefoniert. Diese Telefongespräche soll der Mossad abgehört und so von den Anschlagsplänen erfahren haben.
 

Aufgrund dieser Geheimdienstinformation ergriffen die israelischen Sicherheitsbehörden die bekannten Massnahmen, mit denen sie die Flugzeuge der El Al aus dem «Schussfeld» nahmen: die Umleitung des Fluges in München und die vorübergehende Nichtannahme von Paketpost in Frankfurt.
 

(NZZ, 18.02.2020)

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