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Ort der Schande, der Ehre und des Gedenkens

In Riehen bei Basel steht eine Gedenkstätte für die Opfer der schweizerischen Flüchtlingspolitik. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Naziverfolgte an der Grenze abgewiesen und sehr oft in den Tod geschickt. Eine neue Gedenktafel erinnert an Georges Brunschvig, einen Vorkämpfer gegen Antisemitismus und Rassismus. Hannah Einhaus hat seine Biographie verfasst.

Von Paul Ignaz Vogel

Wenn während des Zweiten Weltkrieges Verfolgte des Naziregimes versuchten, in die Schweiz zu flüchten, ereilte sie im Grenzzipfel beim baselstädtischen Riehen ein besonders grausames Schicksal. Auch im sogenannten „Eisernen Finger“ drohte die Aufgreifung durch schweizerische Behörden.
 

Nach Überschreiten der grünen Grenze gerieten die Flüchtlinge ins militärische Sperrgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Zuflucht in nahen Häusern zu erbitten, das konnte erst recht ins Verderben führen. Die schweizerische Grenzbevölkerung war unter Androhung von Bestrafung dazu verpflichtet, Flüchtlinge sofort dem Polizeiposten Riehen zu melden. Die Polizei rückte sodann aus und führte die Verfolgten schnurstracks zum schweizerisch / deutschen Grenzposten an der Hauptstrasse Riehen / Lörrach. Wo sie – oft mit Seilen gefesselt – ihren Häschern zurückgegeben wurden. Das bedeute in den meisten Fällen den sicheren Tod. Dasselbe Schicksal ereilten auch all jene Menschen, die von einer Schweizer Patrouille unterwegs im dichten Gehölz oder auf offenem Feld bei der Flucht aufgegriffen wurden. Andere Fluchtmethoden misslangen ebenso. Vom deutschen Lörrach mit der Wiesentalbahn Einreisende versuchten, vor dem Halt im schweizerischen Riehen vom Zug abzuspringen und relativ sanft in einer Wiese zu landen. Sie wurden ebenso aufgegriffen und ins Verderben zurückgeschickt.
 

In jener gnadenlosen Zeit kämpfte die Schweizerische Eidgenossenschaft mit optimaler vorauseilender Kollaboration ums Ansehen durch das Dritte Reich und erhoffte sich somit eine Nicht-Okkupation. Der Preis dieser Überlebens-Strategie war entsprechend hoch. General Guisan, der Feldherr der Schweizer Armee, promenierte sich stolz mit seinen Adjutanten in einer offenen Auto-Landauerkarosse durch die Strassen des Dorfes Riehen im Kanton Basel-Stadt, und am Bahnhofsgebäude der damaligen Reichsbahn hing – auf schweizerischem Territorium – die Hakenkreuzfahne. Es herrschte eine Situation wie in Vichy-Frankreich mit seiner Kollaboration gegenüber Nazideutschland. Ein kapitales ethisches Versagen verbarg sich hinter diesem völkerrechtlich schön gefärbten Image der sogenannt neutralen Schweiz.
 

Beobachtete Kollaboration

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Vom deutschen Inzlingen führte eine Strasse durch den damaligen militärischen Sperrbezirk. Sie überquert noch heute nördlich von Riehen die Wiesentalbahn (damals von der deutschen Reichsbahn betrieben, heute von der SBB). Linkerhand stand nach der Querung der Schienen ein Dienstgebäude („Weichenwärterhaus“) der deutschen Reichsbahn. Und auch ihre BewohnerInnen wurden Zeugen der schändlichen Vorfälle. Sie sahen, was auf schweizerischem Territorium mit Hilfesuchenden und Verfolgten des Naziregimes geschah.
 

Dieses Dienstgebäude erwarb 2011 Johannes Czwalina von der Deutschen Bundesbahn und richtete dort eine Gedenkstätte ein. Diese informiert, dokumentiert und regt zum beschämten Nachdenken und zum Gedenken an die Opfer an. Für welche die Schweizerische Eidgenossenschaft mitverantwortlich ist, indem sie die Verfolgten – ohne zu Zögern – den HenkerInnen auslieferte.
 

http://www.gedenkstaetteriehen.ch/
 

http://www.riehen.ch/gemeinde-riehen/portrait/geschichte/riehen-im-2-weltkrieg-0
 

Johannes Czwalina entstammt einer Berliner Gelehrten-Familie. Er wurde in der 1980er-Jahren Schweizer Bürger, ist evangelisch-reformierter Theologe, führte in Basel die St.-Alban-Arbeit durch und betreibt heute die Unternehmensberatung CC, die ihren Sitz schräg gegenüber dem Bahnwärterhäuschen an der Inzlingerstrasse in Riehen bei Basel hat.
 

Gedenktafel für Georges Brunschvig
 

Am 17. Oktober 2017 wurde in der Gedenkstätte Riehen eine Gedenktafel zu Ehren von Georges Brunschvig (1908 – 1973) eingeweiht. Auf der Einladung zu dieser Feier prangte nebst dem Logo CC (Czwalina Consulting) auch jenes des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland – für eine Veranstaltung auf Schweizer Boden. Czwalina betonte, wie wichtig es ist, für die nachfolgenden Generationen, Kenntnisse von diesen schwarzen Ereignissen zu haben. Auch kämen viele Schulen in der Gedenkstätte vorbei. Die Jugend sucht Vorbilder für die Gestaltung ihres eigenen Lebens.
 

Georges Brunschvig war Rechtsanwalt und Politiker. Er kämpfte an vorderster Front gegen den Antisemitismus und trat in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts auch als Kläger im berühmten Berner Prozess gegen die sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion“ auf. Diese antijüdische Weltverschwörungstheorie war einst vom zaristischen Geheimdienst erfunden und weiterverbreitet worden und diente natürlich auch der nationalsozialistischen Ideologie. Hitlers „Mein Kampf“ stützt sich auch darauf ab. Brunschvig kämpfte während des Zweiten Weltkrieges gegen die antisemitische Flüchtlingspolitik der Schweiz und präsidierte danach den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. Sein Wirken beflügelte später die Gestaltung. des Antirassismus-Gesetzes der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Zu seinem Wirken hat Hannah Einhaus eine Biographie verfasst.
 

https://www.swissjews.ch/de/downloads/kultur/buchbrunschvig.pdf
 

Hannah Einhaus ist eine Berner Historikerin und Journalistin. In der Jüdischen Gemeinde Bern leitet sie die Redaktion des Magazins „Forum“ und führt das Text- und Kommunikationsbüro „Worthaus“.
 

https://www.worthaus.ch/hannah-einhaus/ 

 

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© Paul Ignaz Vogel 

29.10.2017 / 12.07.2024

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